Was bleibt, wenn die Kampagne endet?
- Sarah Bauernhofer
- 9. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Was als Aufruf zum Hinschauen begann, hat uns mitten ins Herz getroffen. In den letzten Wochen haben wir Geschichten gehört, die bewegen, aufrütteln und verändern. Jetzt schließen wir die Kampagne offiziell ab, aber das Thema bleibt. Denn aus lautem Aktivismus ist etwas Tieferes geworden: Ein Auftrag. Eine Verantwortung. Eine Herzenssache.

Eine intensive Zeit liegt hinter uns. Die letzten Wochen waren geprägt von Gesprächen, Begegnungen, Erschütterung, aber auch von Mut, Bewegung und echtem Miteinander. Unsere Kampagne „Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache“ hat mehr ausgelöst, als wir anfangs zu hoffen gewagt hätten. Ein Kampagnenleben ist, wenn wir ehrlich sind, schon ziemlich cool. Es gibt Energie, Kraft, Zusammenhalt. Aber es ist auch anstrengend. Vor allem, wenn es um ein Thema geht, das polarisiert und dabei so unfassbar wichtig ist. Gewalt gegen Frauen ist nichts, worüber man gerne spricht. Viele tun es nicht. Viele wollen es nicht hören. Ich bis vor Kurzem ja auch nicht so richtig. Ich habe das Thema gekannt, ja. Ich habe auch in meiner Wohnanlage zwei Situationen miterlebt, wo ich wusste: Da stimmt was nicht. Ich bin eingeschritten. Aber ich habe trotzdem, wie so viele, auch oft die Augen wieder verschlossen.
Dass dieses Thema so präsent ist, so nah, so häufig, hätte ich nicht gedacht. Dass es uns alle betrifft, egal ob am Land, in der Stadt, jung oder alt, war mir nicht in diesem Ausmaß bewusst. Seit dem Start der Kampagne haben wir 75 Erfahrungsberichte gesammelt. Fünfundsiebzig. Und wir wissen alle: Die Dunkelziffer ist ungleich höher. Diese Geschichten liegen schwer im Magen. Sie handeln von Schlägen. Von Demütigung. Von Kontrolle. Von Angst. Von einem ständigen Leben auf Zehenspitzen. Von Frauen, die sich selbst verloren haben, weil ihnen eingeredet wurde, sie seien nichts wert. Von Frauen, die irgendwann trotzdem den Mut gefunden haben, zu gehen. Manchmal mit Unterstützung. Manchmal allein. Immer mit großer Kraft.

Plötzlich wird hingeschaut und es bewegt sich was
Als Organisatorin dieser Kampagne war es für mich ein Lernprozess. Ich hatte viele dieser berühmten Aha-Momente - aber genauso viele Oh-no-Momente. Es war emotional, intensiv, aufwühlend. Und es hat mich verändert. Ich habe Gespräche geführt, Nachrichten gelesen, Stimmen gehört, die ich nie wieder vergessen werde. Es ist einfach unglaublich, wie breit die Unterstützung aus der Bevölkerung war. So viele Menschen haben nicht nur applaudiert, sondern mitgemacht. UnternehmerInnen, Männer aus männerdominierten Branchen, Sportvereine, Fußballplätze, überall haben Menschen gesagt: „Wir schauen hin.“
Da wurden Plakate aufgehängt, Botschaften geteilt, Fotos gemacht, Banner aufgestellt. Menschen haben unsere Sätze in ihre Alltagswelt getragen, auf Baustellen, in Werkstätten, in Kantinen, auf Vereinsabenden und Sportplätzen. Wenn gerade dort, wo lange geschwiegen oder weggesehen wurde, plötzlich Haltung gezeigt wird, dann spüren wir: Diese Bewegung verändert wirklich etwas.
Und deshalb ist für uns auch klar: Wir schließen jetzt die große Kampagnen-Offensive ab, aber aufhören werden wir nie wieder. „Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache“ wird neben unseren Projekten - wie dem Kochbuch und der Unterstützung von Familien - zum dritten großen Kernthema unserer Arbeit. Wir werden in Zukunft nicht mehr täglich darüber posten, aber das Thema wird bleiben. Es wird präsent sein, in Gesprächen, in Workshops, in der Arbeit mit anderen Organisationen. Wir werden immer wieder laut sein. In kleinen Dosen. Aber stetig. Wir vernetzen uns weiter mit ExpertInnen, mit Stellen der Opferhilfe, mit Frauenhäusern, Beratungsstellen und Frauen Männern, die sich für Veränderung einsetzen. Wir wollen lernen. Noch besser verstehen, wo wir ansetzen können. Wie wir begleiten können. Und was es braucht, um nachhaltig etwas zu verändern. Auf unseren Kanälen halten wir euch dazu natürlich auf dem Laufenden.

Beim Austausch mit dem Team der Männerberatung in Graz.
Was ich nicht ignorieren kann und auch nicht ignorieren will
Aber eine Sache lässt mich einfach nicht los. Und ich muss ihr auf den Grund gehen. Denn so viel Klarheit, wie wir bei vielen Dingen inzwischen haben, bei einem Punkt bin ich noch fassungslos. In mehreren Berichten kam das Thema Polizei auf. Und nicht selten in einem sehr kritischen Licht. Ich sage das nicht, um jemanden schlechtzumachen, ganz im Gegenteil. Ich weiß, wie viel Einsatz und Verantwortung in diesem Beruf steckt. Aber es sind eben Dinge passiert, die ich nicht einfach ignorieren kann.
Erst letzte Woche habe ich eine Geschichte am Handy quasi miterlebt, die mich einfach nicht mehr loslässt: Eine junge Frau wurde von ihrem Ex-Partner verfolgt. Sie hatte solche Angst, dass sie mitten in der Nacht beim ersten Haus mit Licht angeläutet und wie wild geklopft hat. Die Hausbesitzerin öffnete irritiert. Die Frau flehte: „Ich werde verfolgt, bitte hilf mir.“ Man konnte ihr die Angst ansehen. Die Hausbesitzerin zögerte nicht lange und ließ sie herein. Gemeinsam riefen sie die Polizei. Die Antwort war: „Wir können nichts tun.“ Das hat mich erschüttert. Wie bitte? Eine Frau wird verfolgt, hat Todesangst und es gibt keine Handhabe?Das kann ich nicht glauben. Und ich will es auch nicht glauben. Wenn Frauen verfolgt werden und die Polizei sagt: „Wir können nichts tun“, dann ist nicht nur die Frau in Gefahr, sondern auch unser Vertrauen in das System.
Wie viel Angst braucht es, bis Hilfe kommt?
Ich habe inzwischen die Landespolizeidirektion am Radar und ein Gespräch mit einer Polizistin geplant. Sie arbeitet zwar in der Stadt, aber sie ist täglich mit genau solchen Fällen konfrontiert. Ich möchte verstehen: Was geht wirklich? Wo sind die Grenzen? Wo die Möglichkeiten? Denn wenn es tatsächlich so ist, dass erst etwas Schlimmes passieren muss, bevor ernsthaft geholfen wird, dann stimmt etwas nicht. Und dann dürfen wir genau da nicht aufhören hinzuschauen. Außerdem stellen wir uns folgende Fragen: Was tut die Politik, damit Frauen in akuter Bedrohungssituation sofort Hilfe bekommen? Welche Handlungsspielräume hat die Polizei wirklich? Was muss sich ändern, damit Schutz nicht erst dann beginnt, wenn es fast zu spät ist? Wir gehen diesen Fragen nach, ohne Vorurteile, aber mit klarer Haltung. Mit Respekt für jene, die täglich ihren Dienst leisten. Aber auch mit dem nötigen Mut, Systeme kritisch zu hinterfragen. Wir werden mit der Landespolizeidirektion sprechen, mit Fachleuten und politischen VerantwortungsträgerInnen. Und: Wir halten euch dabei am Laufenden.
Was wir euch aber heute schon mitgeben möchten und das ist uns besonders wichtig: Wenn ihr in Gefahr seid oder wenn jemand anderes Hilfe braucht: Ruft die 133! Nicht die örtliche Nummer des Polizeipostens. Die 133 ist die Notrufnummer und sie hat Vorrang.

Weil wir gemeinsam hinschauen und nicht weg Diese Kampagne hat etwas bewegt. Und sie hat auch mich verändert. Ich bin dankbar für jedes Gespräch, jede Frau, die den Mut hatte, ihre Geschichte zu teilen. Danke auch an alle, die unsere Kampagne verfolgt haben und an all jene, die sie auch weiterhin mittragen. Danke, dass ihr gemeinsam mit uns hinschaut, dass ihr nicht wegschaut, dass ihr eure Augen - und die eurer Mitmenschen - für ein Thema öffnet, das bei uns viel zu lange im Verborgenen blieb. Denn Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache. Sie geht uns alle an. Eure Sarah #vmzm
Als Betroffene kann ich nur ein grosses DANKESCHÖN sagen. Das tut einer geplagten Seele ehrlich gut.
Alles Liebe für euch